Lichtblick-School

Theatre of Real Life Vol. 5

6-monatiges Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School
April - September 2013


Cover des Katalogs zum Seminar, Anaid Namohl, Marmelade Skies

Ansicht und Bestellung des Katalogs zum Seminar bei Blurb


mit Arbeiten von:
Alois Anders, Eckart Bartnik, Gernot Breuer,
Walter G. Breuer,
Peter Joester, Lara Mouvée,
Anaid Namohl, Ken Ruesenberg, Britta Strohschen

Das Leben hat zu viele Dimensionen, um es auf einfache Abbildungsmodelle zu reduzieren. Eine Maxime der Seminare von Wolfgang Zurborn ist es, keine fertigen Rezepte und Anleitungen zu geben, wie die Welt fotografisch zu fassen ist. Bei der Suche nach einer persönlichen Bildsprache ist es von elementarer Bedeutung, auf die eigenen Fotografien hören zu können und sich auf ihr Eigenleben einzulassen. Oft sind es gerade die intuitiv entstandenen Bilder, die den Kern der Motivation und die subjektiven Interessen beinhalten. Das intensive Studium dieser Schlüsselbilder schafft die konzeptionelle Basis für langfristige fotografische Projekte. Die Bandbreite der Themen und Arbeitsweisen ist auch in diesem Seminar wieder beeindruckend. Sie reicht von einer höchst präzisen dokumentarischen Sicht auf heimatliche Kulturlandschaft bis zu hin zu einer radikal subjektiven Inszenierung des Privaten.


Peter Joester, Don't Worry

Don’t Worry – mit diesem Titel benennt Peter Jöster einen wesentlichen Aspekt seiner fotografischen Haltung. Er taucht beim Akt des Fotografierens in den Sog des alltäglichen Wahnsinns ein und geht auf Entdeckungsreise nach Momenten, in denen sich urbane Szenerien zu oft grotesken Bildern unserer Konsumwelt verdichten. Kein vorgegebenes strenges Konzept gibt ihm dabei einen sicheren Halt. Gerade die Offenheit in der angstfreien Begegnung mit dem nicht zu kontrollierenden Zufall macht die Vitalität seiner eingefrorenen Augenblicke im Sinne einer Street Photography aus. Die Bilder sind nicht an einen besonderen Ort gebunden. In einer Serie gebündelt kreieren sie vielmehr eine fiktive mediale Stadt.


Alois Anders, Fremd in Duisburg

Alois Anders dagegen nähert sich mit seiner Arbeit Fremd in Duisburg einer Stadt an, die ihm persönlich sehr vertraut ist, da er dort lange Zeit gearbeitet hat. Ein Gefühl der Fremdheit ist aber immer geblieben. Das Medium der Fotografie hat für ihn eine doppelte Funktion. Das neugierige Erforschen des heutigen Erscheinungsbildes von Duisburg bietet ihm die Möglichkeit, persönliche Erinnerungen an einen Lebensabschnitt wieder auferstehen zu lassen. Darüber hinaus reflektiert er mit seinen Stadtland-schaften, Menschenbildern und alltäglichen Stilleben das Image dieser Stadt zwischen Kohlehalden, Schimanski-Charme und Loveparade-Drama.


Gernot Breuer, Concrete Movements

Der Strukturwandel in einer industriell geprägten Region steht im Mittelpunkt der fotografischen Serie Concrete Movements von Gernot Breuer. Er konzentriert sich dabei ganz gezielt auf den Lippepark Hamm, einem neu geschaffenen Freizeitgebiet auf einem ehemaligen Zechengelände. Mit der Kombination von Portraits der Jugendlichen und fragmentarischen Sichten auf die Architektur des Parks schafft er ein subtiles Dokument zeitgenössischer Lebenswelt. In konzentrierten Momentaufnahmen verleiht er den jungen Skatern und Bikern eine ganz eigenwillige Präsenz und belässt ihnen gleichzeitig Raum für ihren Bewegungsdrang. Dieser steht im spannungsvollen Kontrast zu der künstlich konstruierten Beton-Freizeitwelt.


Eckart Bartnik, Westerworld

Auch die Arbeit Westerworld von Eckart Bartnik hinterfragt die wechselhafte Beziehung der Menschen zu der Region, in der sie leben. Auch wenn sie in den Bildern nicht erscheinen sind sie trotzdem allgegenwärtig. Die Spuren der Zivilisation können in den höchst präzisen Aufnahmen des Westerwaldes in allen Details gelesen werden. Es ist kein sachlich nüchterner Blick auf heimische Gegenden wie in der Dokumentar-fotografie der 80erJahre in Deutschland. Der Idee einer Neutralität im grauen Licht stellt er seine Faszination für die vielfältigen Erscheinungsformen dieser Landschaft in unterschiedlichsten Lichtstimmungen entgegen. Fern jeder romantischen Überhöhung oder kitschigen Idealisierung zeichnet er mit der subtilen Einbeziehung des Alltags in allen seinen Fotografien des Westerwaldes ein zeitgenössisches Bild der Region in wirtschaftlichen und kulturellen Umbrüchen.


Ken Ruesenbergl,Hauptstadt Momente

Einen kompletten Szenenwechsel bilden die Fotografien von Ken Ruesenberg. Berlin ist die Bühne für seine Straßenfotografien, bei denen die Menschen im Trubel von Massenveranstaltungen zu sehen sind. Innerhalb des chaotischen Treibens scheint er für einen Augenblick die Zeit anzuhalten um damit den Zustand eines konzentrierten Innehaltens seiner Protagonisten zu ermöglichen. Er zeigt Individuen zwischen Selbstbehauptung und Auflösung im Ornament der Masse. Bilder, Zeichen und Symbole sind omnipräsent in seinen Fotografien und machen deutlich, dass reales Leben nicht losgelöst vom Einfluss der medialen Welt wahrgenommen werden kann.


Walter G. Breuer, Immer wieder Sonntags

Die Rituale der Menschen in ihrer Freizeit sind auch für Walter G. Breuer von besonderem Interesse. Immer wieder Sonntags beobachtet er ihr Treiben auf Märkten und Festen. Mit irritierenden Perspektiven, eigenwilligen Unschärfen und pointierten Momentaufnahmen entwickelt er eine subjektive Bildsprache voller Humor und Doppelbödigkeit. Fragmentarische Sichten im Hochformat entreißen abgebildete Objekte und Personen einer klassischen Form der Erzählung und lassen dem Betrachter Raum für eigene Phantasien. Die Fotografien verstehen sich nicht als ein Abbild von Alltagswelten sondern als Entwurf eines „Theatre of Real Life“.


Britta Strohschen, Rettung

Bei ihrer Serie Rettung baut Britta Strohschen dagegen eher auf die authentische Wirkung des Mediums Fotografie. Sie will der Emotionalität und dem Mut von Feuerwehrleuten in der Begegnung mit der Gefahr Ausdruck verleihen. Dabei geht es ihr nicht um eine journalistische Geschichte oder eine dokumentarische Untersuchung von Arbeitsabläufen. Diese distanzierte Form der Betrachtung wird aufgegeben. Das Bild der Augen eines Feuerwehrmanns hinter seiner Schutzmaske in greller Farbigkeit wird konfrontiert mit einer S/W-Fotografie, die eine unbestimmte Gefährdung erahnen lässt. Diese Bildzusammenstellung vermittelt gerade deshalb eine intensive visuelle Verdichtung eines Gefühlszustandes, weil sie Raum für Interpretationen lässt und sich nicht sofort eindeutig erklären lässt.


Lara Mouvée, in tune full on

Die Fotocollagen in tune full on von Lara Mouvée lösen sich völlig vom Abbildcharakter der Fotografie. Angetrieben von der Faszination für körperliche Grenzerfahrungen beim Triathlon wird hier eine experimentelle Montagetechnik entwickelt, die eine ganz eigene Dynamik in der Kombination von Detailansichten auf Körper, Sportgeräte und umgebenden Raum schafft. Die Künstlerin visualisiert Bewegung als ein Symbol für Befreiung durch das Zusammenspiel der Bilderelemente, durch rhythmische Schnitte, durch räumliche Dekonstruktionen und durch perspektivische Verzerrungen. Die Details fügen sich in den Collagen nicht zu einem logischen Ganzen zusammen, sondern behalten alle ihr Eigenleben. Somit entsteht eine spannungsvolle Gleichzeitigkeit von Erschöpfung und Vitalität, von Ruhe und Beschleunigung, von Nähe und Distanz.

In Parallelwelten entführt uns Anaid Namohl mit ihren Bildern der Serie Marmelade Skies. Schon in dem ersten Bild wissen wir nicht, ob wir festen Boden unter den Füßen haben oder gen Himmel schweben und je weiter wir uns auf die Reise in diese tagtraumartigen Visionen begeben, desto mehr verlieren wir eine klare Orientierung. Wir können uns nur in die ganz persönliche Welt von Anaid Namohl zwischen Begegnung, Erfindung und Inszenierung fallen lassen. Die Kunst ihrer Fotografien besteht darin, das assoziative Netz dieses fiktiven Familienalbums so fest zu stricken, dass sich der Betrachter darin aufgefangen fühlt.