6-monatiges Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School
Oktober 2017 - März 2018
Cover des Katalogs zum Seminar The Theatre of Real Life vol. 12, Foto: Uwe Krella
mit Arbeiten von:
Adelaide di Nunzio • Torsten Dodillet • Catrin Homberger
Uwe Krella • Philipp Mehnert • Camillo Reiser
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“I don’t have anything to say in any picture. My only interest in photography is to see what something looks like as a photograph. I have no preconceptions.” – Garry Winogrand
Dieses Plädoyer für eine Lust am Sehen, ohne diese in den Dienst der Illustration von vorgegeben Konzepten zu stellen, fokussiert eine zentrale Fragestellung im Umgang mit der Fotografie. Was ist zuerst da, wenn ich mit fotografischen Bildern meine Umwelt erfassen will? Ist es die bewusste Idee, eine eindeutige Botschaft, die mit Fotografien visuell interpretiert wird oder sind es die Bilder als ein unmittelbarer intuitiver Ausdruck des Verhältnisses zu den Menschen, Gegenständen und Räumen im alltäglichen Leben.
Das sind zwei sehr unterschiedliche Herangehensweisen an die Fotografie, die immer in Konfrontation zueinander stehen werden. Die Philosophie des Seminars „The Theatre of Real Life“ an der Lichtblick School besteht aber genau darin, eine Symbiose von Intuition und Konzeption zu schaffen. Den Ausgangspunkt der im Kurs entstehenden Arbeiten bilden oft „absichtslos“ aufgenommene Bilder. Die analytische Betrachtung und das sorgfältige Editieren der Fotografien lässt daraus eine persönliche Bildsprache entstehen. „Sehen statt bedeuten wollen“ ist die Devise.
Camillo Reiser, Der Rest
Camillo Reiser hat seinen Blick auf ein ehemaliges Altenheim gerichtet. Seine Serie Der Rest wirkt wie ein Kammerspiel ohne Darsteller, in dem allein die Gegenstände Geschichten aus einer verlorenen Zeit erzählen. Die Objekte entwickeln ein unheimliches Eigenleben, wenn z.B. ein einsamer roter Stuhl mit im Raum zu schweben scheinenden gelblich rosa verblassten Friseurhauben eine solch eigenwillige Konstellation bilden, dass der verschimmelte Ort wie eine Bühne erscheint. Die Fotografien von Reiser haben einen dokumentarischen Charakter, da sie etwas festhalten wollen und sich gegen das Vergessen stellen, aber sie wollen dabei in keiner Form neutral sein. Die Gefühle für die Schicksale hinter den Dingen können erst sichtbar werden, wenn sie bei sich selbst zugelassen werden und sich nicht hinter einer Sachlichkeit verstecken.
Philipp Mehnert, UhU
Der offene Dialog mit der Aussenwelt ist für Philipp Mehnert der zentrale Antrieb für seine Street Photography. In seiner Serie UhU sucht er die glücklichen Momente, in denen für ein Sekundenbruchteil in seinem Blickfeld alles sich so zusammenfügt, dass sich die eingefangenen Szenerien mit inneren Bildern decken. Diese Fotografien können nicht geplant werden und somit wäre eine inhaltliche und räumliche Eingrenzung für den Fotografen ein hemmendes Korsett. Die Paradoxie des Bildflusses ist dabei gerade der Ausweg aus einer Logik, die an Wahrnehmung nur zulässt, was vorher schon bewiesen ist. Der präzise Umgang mit Licht und der Choreographie von Personen im Raum lässt bei aller Diversität der abgebildeten Ereignisse die Kohärenz einer subjektiven Bildsprache erkennen, die Vertrauen schafft für den Betrachter, sich auf eine Welt voller Widersprüche einzulassen.
Torsten Dodillet, Displaced Objects
Auch Torsten Dodillet geht bei seiner fotografischen Arbeit auf eine Entdeckungsreise in den öffentlichen Raum, dessen Ziel nicht von Anfang an klar definiert ist. Sein Interesse hat sich im Laufe des Projektes immer mehr auf Displaced Objects fokussiert, auf die Gegenstände in unserem Lebensumfeld, die uns oft unwichtig und banal erscheinen. Losgelöst aus ihrem rein funktionalen Kontext und durch eine konsequente visuelle Verdichtung magisch überhöht entwickeln sie eine faszinierende Wirkung auf dem schmalen Grat zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Diese wird noch gesteigert durch die Anordnung der hochformatigen Fotografien zu collageartig wirkenden Kombinationen von jeweils vier linear angeordneten Bildern. Formale Analogien und der geschickte Einsatz von Farbe zwischen erdigen und grellen Tönen lassen im Zusammenspiel der Fotografien eine Art Bilderrätsel entstehen, das den Objekten des Alltags neue Bedeutungen verleiht.
Adelaide di Nunzio, Gold Cathedrals
In vielfacher Hinsicht lässt sich Adelaide di Nunzio mit den Fotografien ihrer Serie Gold Cathedrals auf neue Erfahrungen ein. Gerade erst vor kurzem von Italien nach Deutschland umgezogen erspürt sie die kulturellen Gegensätze und ist gleichzeitig angezogen von neuen Sichtweisen auf die Welt, die ihr vorher noch fremd waren. Die Bühnen für ein Theater des realen Lebens sind für sie die goldenen Kathedralen einer Konsumwelt, in deren Schein die Menschen auf der permanenten Suche nach der eigenen Identität sind. Wie in einem surrealen Tagebuch wird der Betrachter durch Momentaufnahmen des alltäglichen Lebens geführt, die sich auf der schillernden Schnittstelle zwischen vollkommener Künstlichkeit und authentischer Natürlichkeit bewegen. Die spielerische serielle Anordnung der Bilder mit variierenden Zwischenräumen verdeutlicht dabei, dass es der Fotografin nicht um eine lineare Ansammlung guter Bilder geht, sondern um das komplexe Beziehungsgeflecht von Puzzlesteinen einer heterogenen Weltsicht.
Catrin Homberger, Letztes Jahr im Sommer
In der Arbeit Letztes Jahr im Sommer von Catrin Homberger wachsen zwei ganz unterschiedliche Ausdrucksformen zu einer Einheit zusammen - der Tanz und die Fotografie. In einem Tanzprojekt war sie zugleich Beobachterin und Teilnehmerin und konnte daraus die Erfahrung sammeln, wie sehr das Erleben der eigenen Körperlichkeit in der Gruppe fördernd auf das Selbstbewusstsein jedes Einzelnen wirken kann. Die dabei entstandenen Bilder zielen nicht auf eine Ästhetisierung der Choreografie, sondern auf die emotionalen Zustände der Beteiligten. Parallel zu diesem Projekt entstanden Fotografien in ihrem persönlichen Lebensumfeld, die in ihrer sinnlichen Präsenz eine poetische Symbiose mit den Tanzbildern eingehen. Die Körperstudien im abgeschlossenen Studioraum treten in einen visuellen Dialog mit Einblicken in den öffentlichen Raum, bei denen Spuren der menschlichen Suche nach Glück sichtbar werden und auch deren häufiges Scheitern.
Uwe Krella, Surrogat
Auch für Uwe Krella spielt der Tanz eine Rolle bei der Motivation für seine fotografische Arbeit Surrogat. Auch wenn er diesen nicht abbildet, ist dieser eine Quelle der Inspiration für den intuitiven Akt des fotografischen Sehens. Er lässt sich treiben auf dem schmalen Grat zwischen Realität und Theatralität und findet oft grotesk wirkende Momente und Choreografien im Alltag. Ohne Scheu nähert er sich dabei den Menschen und diese Aufgabe der Distanz bildet die Voraussetzung für pointierte Portraits voller Humor. Je mehr der Fotograf im Laufe des Projektes die Qualitäten der eigenen, oft spontan entstandenen, Fotografien verstehen lernte, desto intensiver konnte er seiner Schaulust folgen. Uwe Krella ist ein Bildermacher, der zugleich fasziniert ist von den theoretischen Reflexionen über das Medium Fotografie. Seine Ideen dazu bündeln sich in dem Begriff des surrogaten Blicks, der sich als eine subjektive Konstruktion von Wirklichkeit versteht und dabei die eindeutige Interpretation der Welt in einer rein technisch exakten Abbildung in Frage stellt.