Lichtblick-School

The Theatre of Real Life Vol. 15

6-monatiges Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School
Oktober 2018 - März 2019


Cover des Katalogs zum Seminar The Theatre of Real Life vol. 15, Foto: Stefan Scherf

mit Arbeiten von:
Michael Holstein • Astrid Steckel • Eva Steinhübel • Inga Khapava • Stefan Scherf • Yoshika Hirata Oen

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Wir bewegen uns in einem unendlichen Meer fotografischer Bilder. Tatsächlich gibt es kaum ein Entrinnen aus den visuellen Botschaften, die unser alltägliches Leben beeinflussen, die unsere Triebe stimulieren und den Verstand regulieren. Für einige Kulturredakteure hat die Fotografie als künstlerische Ausdrucksform schon abgedankt, weil sie durch die Flut in Instagram trivial geworden wäre. Aber ist es nicht gerade die besondere Herausforderung an das Individuum in einer Massen- und Konsumgesellschaft, dieses so demokratische Medium zu nutzen, um sich selbst zu behaupten und zu beweisen, dass man eine persönliche Sicht auf die Welt entwickeln kann?

Aus Angst vor dem Chaos und dem Unvorhersehbaren werden in der zeitgenössischen deutschen Dokumentarfotografie oft konzeptionelle Ansätze entwickelt, die jeden Zufall ausschließen wollen. Für eine intensive Erfassung des Gegenwärtigen ist die Einlassung auf das Unplanbare aber von wesentlicher Bedeutung. Das spannungsvolle Zusammenwirken von intuitivem und konzeptionellen Handeln im fotografischen Arbeitsprozess ist die Grundlage für unakademische, subjektive Sichten auf Menschen, Räume und Dinge in unserer Umwelt. Die Teilnehmer/Innen des Seminars „The Theatre of Real Life“ an der Lichtblick School in Köln haben sich auf dieses Experiment des Sehens eingelassen und dabei unterschiedliche Stile zwischen Dokument und Erfindung kreiert.


Michael Holstein, Momente

Michael Holstein erfasst in seiner Serie Momente flüchtige Choreografien des Alltags, in denen sich alles Wahrgenommene zu einer Konstellation zusammenfügt, die das Gewöhnliche zu etwas Besonderem werden lässt. Eine banale Szenerie auf einem nur spärlich genutzten Parkplatz mit einer Vogelperspektive aufgenommen, kann plötzlich zum Bühnenraum werden, in dem die Protagonisten zu Akteuren ihres eigenen Lebens werden. Fahrer, Autos, Parkbuchten, Verkehrszeichen, Bäume und Sträucher, jedes winzige Detail im Bild ist so in Szene gesetzt, dass im Zusammenspiel ein subtiler Witz entsteht.


Astrid Steckel, Mein kleiner Bruder

Einer ganz anderen Herausforderung hat sich Astrid Steckel mit ihrer Arbeit Mein kleiner Bruder gestellt. Die Krankheit und den Tod in der engsten Verwandtschaft sehr bewusst wahrzunehmen, muss ein sehr schmerzlicher Prozess sein. Die fotografische Begleitung dieses Abschiednehmens schafft einen intensiven Dialog, der unterschiedlichste Emotionen hochkommen lässt zwischen vollkommener Nähe und behutsamer Distanz. Die Sequenzierung von Interieuraufnahmen aus dem häuslichen Umfeld, Stillleben von persönlichen Objekten und ungestellten Portraits lassen diesen Balanceakt auf eindringliche Weise spürbar werden.


Eva Steinhübel, Fotogramme

Mit einer ganz anderen künstlerischen Strategie entwirft Eva Steinhübel in ihren Fotogrammen eine abstrakte dunkle Gegenwelt, in der eine rational analytische Betrachtung keine Orientierung liefern kann. Sich auf die experimentellen Prozesse im Fotolabor einzulassen bedeutet für sie, Kontrolle aufgeben zu können. Den Zufall macht sie dabei zu ihrem wichtigsten Verbündeten, da dieser erst das Unerwartete und Überraschende möglich macht, in dem sich Phantasieräume öffnen. Es ist der schmale Grat zwischen der bewussten Auswahl von Materialien und dem letztlich nicht vollkommen steuerbaren Akt des Durchleuchtens, der den spezifischen Reiz dieser kameralosen Fotografie ausmacht.


Inga Khapava, Das Schweigen der Farben

Auf einer poetischen Schnittstelle zwischen Abstraktion und Narration bewegen sich die Fotomontagen der Serie Das Schweigen der Farben von Inga Khapava. In vertikalen
Triptychen fügen sich Porträts, Alltagsgegenstände und Lebensräume mit psychedelisch wirkenden Farben und radikalen Ausschnitten zu Collagen eines gegenwärtigen Lebensgefühls zusammen. Ein Rest des Authentischen bleibt in allen Motiven erhalten und die portraitierten Personen entwickeln eine starke Präsenz, auch wenn sie nicht straight fotografiert wurden. Der Betrachter ist gefordert, sich auf ein lustvolles Bilderrätsel einzulassen mit vielfältigen assoziativen Beziehungen.


Stefan Scherf, Widescreen

Das komplexe Zusammenspiel von subjektiven Einschnitten in die persönliche Umwelt spielt auch für die Farbfotografien der Serie Widescreen von Stefan Scherf eine entscheidende Rolle. Jeweils in Bildpaaren montiert entwickeln die meist mit Blitzlicht erfassten Szenen und Objekte des Alltags eine filmische Dynamik, die das oft Skurrile und Groteske des urbanen Lebens auf Breitwand ausdrucksstark zur Wirkung bringt. Er folgt dabei der Philosophie einer Streetphotography, die das Unvorhersehbare und Zufällige in den Fokus des Interesses rückt, um in der Rolle eines Flaneurs lebendige Dokumente der zeitgenössischen Welt zu schaffen.


Yoshika Hirata Oen, Haptics

Eine intensive Selbstbefragung nach der eigenen Identität ist für Yoshika Hirata Oen die Motivation für einen fotografischen Dialog mit ihren wechselnden Lebensräumen in unterschiedlichen Kulturen. Die Bildfolge ihrer Serie Haptics folgt einer kontemplativen Dramaturgie, die den Betrachter sensibilisiert für einen visuellen Minimalismus, in dem ein magisches Licht das Abgebildete aus dem realen Leben zu entrücken scheint. Die Fotografien verlieren sich dabei aber nicht in reinem Ästhetizismus, sondern entwickeln in der Sequenz eine Narration mit wechselnden Stimmungen, die grundsätzliche Fragen darüber aufwirft, was die Welt letztlich zusammenhält.