Lichtblick-School

The Theatre of Real Life Vol. 7

6-monatiges Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School
Oktober 2014 - März 2015


Cover des Katalogs zum Seminar, Foto: Susanne Willuhn


mit Arbeiten von:
Monika Barth, Eva Günther, Rainer Kuropka,
Udo Schlösser, Bernhard Schneider, Jörg Sommer,
Maxi Uellendahl, Susanne Willuhn, Astrid Wortmann

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Die meisten Fotografien entstehen beim Reisen. Der Aufbruch in das Unbekannte weckt den Wunsch, das neu Gesehene in Bildern festzuhalten. Für den Akt des Fotografierens gibt es dabei sehr unterschiedliche Motivationen. Der klassische Tourist sieht in der Reproduktion des als sehenswürdig Klassifizierten seine Aufgabe erfüllt, während dokumentarische oder journalistische Fotografen Thematiken im Dialog mit dem Fremden erarbeiten und künstlerische Strategien eher den Bewusstseinszustand beim Reisen erforschen. Das Unterwegssein bedeutet dabei eher, der reinen Funktionalität des Alltäglichen zu entkommen und die subjektive Erfahrung der Lebenswelt zu wagen.
Die Teilnehmer/Innen des 6-monatigen Seminars „The Theatre of Real Life“ mit Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School in Köln haben sich auf sehr unterschiedliche Weise auf eine Reise begeben, zur Erkundung ferner Länder, in die Aufarbeitung der persönlichen Vergangenheit und zur Entdeckung des Besonderen im Alltäglichen.


Astrid Wortmann

Astrid Wortmann wollte nicht schon wieder auf die Kanaren fahren. Die Reise nach Kuba war für sie der Ausbruch aus einer Routine und gleichzeitig die Konfrontation mit einer exotischen Welt, die in ihrem Farbenreichtum die Sinne betört. Die Gefahr ist dabei groß, sich in den typischen Klischeebildern von Kuba zu verlieren, den ästhetischen Overkill nicht zu bewältigen. Mit der Kombination ihrer Aufnahmen von Fassaden, Wandbildern und Menschen in den Strassen zu einem endlos wirkenden Panorama entwickelt sie eine Darstellungsform der Reiseeindrücke, die der visuellen Faszination einen sinnlichen Ausdruck gibt, ohne den Blick auf den Alltag zu verlieren. Die Collagierung der Bilder lässt Räume zwischen Dokument und Erfindung entstehen als Bühne für ein Theater des realen Lebens.


Udo Schlösser

Udo Schlössers Fotografien von seiner Reise nach Zentralamerika würden keinen Platz in einem Album mit konventionellen Urlaubsbildern finden. Er ist nicht interessiert an dem Sammeln von touristischen Attraktionen, sondern thematisiert seine persönliche Wahrnehmung des vielfältigen Lebens in einer neu zu entdeckenden Welt. Er gibt dabei nicht vor, mit analytischen Blick, ein umfassendes Bild des bereisten Landes entwerfen zu können. Vielmehr nimmt er sich die Freiheit, in radikal subjektiven Perspektiven quadratische Fragmente aus den urbanen Szenerien herauszulösen, die zwischen der Vitalität einer expressiven Mimik und Gestik der portraitierten Personen und der kontemplativen Ruhe von Stillleben mit Alltagsgegenständen changieren. Mit Selbstironie wird die Rolle des Voyeurs in eine fremde Kultur beleuchtet, die kulissenartig an einem vorbei rauscht, wie im letzten Bild der Serie.


Monika Barth

Monika Barth thematisiert in ihren Fotografien das Unterwegssein. Das Ziel der Reise ist dabei nicht wichtig. Es geht ihr eher um den Bewusstseinszustand, die besondere mentale Befindlichkeit beim Gleiten durch Raum und Zeit. Als Schauspielerin fährt sie regelmäßig mit der Bahn und nimmt die Szenerien auf der Fahrt immer mehr wie ein Bühnenstück wahr. Die Akteure sind die Mitreisenden, oft versunken in ihrer eigenen Welt und dann wieder mit dem Blick gerichtet auf die am Fenster vorbeirauschende Landschaft. Die Abfolge der Bilder schafft einen Sog und vermittelt das Gefühl der permanenten Bewegung, rhythmisch getaktet von spirituellen Momenten der Kontemplation. Gerade das spannungsvolle Verhältnis der gedankenversunkenen Statik der Personen mit der Dynamik der oft in Bewegungsunschärfe sich auflösenden Aussenwelt lädt den Betrachter ein, mit auf die Reise zu gehen.


Rainer Kuropka

Mit der Serie Dekonstruktion richtet Rainer Kuropka seine fotografischen Erkundungen auf vertraute städtische Lebensräume und entwickelt dabei ein feinsinniges Gespür, Prozesse der Veränderung sichtbar zu machen. Eine dokumentarische, neutrale Sicht strebt er dabei nicht an. Die formal verdichteten Farbfotografien im Hochformat klagen nicht vordergründig den Verlust eines vitalen öffentlichen Lebens in unseren Städten an. Sie fügen sich vielmehr zu komplexen Fragestellungen über unsere Alltagskultur zusammen und laden mit ihrem visuellen Reiz den Betrachter zu einer Reise in das „Banale“ ein. Gerade in diesem das Besondere herauszuarbeiten ist die besondere Qualität dieser Fotografien. Kuropka lässt den dargestellten Objekten in den Bildern ihren eigenen Wirkungsraum und verkürzt sie nicht zu Symbolen für den Verfall.


Jörg Sommer

Auch Jörg Sommer reflektiert in seiner Arbeit Dreieinhalb Grad die Lebensbedingungen in einer deutschen Stadt. Sein Interesse gilt dabei Eisenhüttenstadt. Mit Farbfotografien im dokumentarischen Stil schafft er eine Bestandsaufnahme davon, was geblieben ist von den sozialistischen Idealen und Utopien der Deutschen Demokratischen Republik. Er ist sich sehr bewusst darüber, wie sehr das Stadtbild Ausdruck der Wertvorstellung einer Gesellschaft und ihrer politischen Ausrichtung ist. Die Bilder wirken wie eine Zeitreise, da die Spuren der Vergangenheit deutlich sichtbar sind. Es ist ein zugleich sachlicher und liebevoller Blick ohne jegliche Dramatik oder pathetische Überhöhung, der eine Sicht auf zeitgeschichtliche Prozesse ohne den Filter der Ideologie möglich macht.


Bernhard Schneider

Einen vollkommen anderen Blick auf die Stadt entwirft Bernhard Schneider mit seinen Montagen von fragmentarischen Ausschnitten aus Zeichenwelten, die allgegenwärtig präsent sind in urbanen Räumen. Auch wenn seine Fundstücke keine eindeutige Verortung möglich machen, stellen die Bildkombinationen für den Fotografen ein radikal abstrahiertes Portrait seiner Heimatstadt Frankfurt am Main dar. Eigentlich sollen die Zeichen uns eine Orientierung im Chaos des städtischen Treibens liefern, aber bei den mit dadaistischen Witz zusammengefügten Collagen werden sie ihrer ursprünglichen Funktion beraubt. Sie entwickeln einen eigenwilligen Dialog mit visuell komprimierten Verweisen auf das „Natürliche“. Kakteenstacheln stehen neben Frage- und Ausrufezeichen, Blattwerk mutiert zu einem Stadtplan. Mit der Aufhebung der Grenzen zwischen Künstlichkeit und Authentizität, schafft der Fotograf ein Sinnbild für zeitgenössisches städtisches Leben.


Eva Günther

Eva Günther schaut mit Ihrer Serie I did my Homework dagegen sehr genau auf ihr ganz persönliches Umfeld. In serieller Strenge und mit größtmöglicher Präzision bildet sie den täglich anfallenden Küchendreck auf dem Boden ab. In Kombination mit den aus entgegengesetzter Perspektive fotografierten, grafisch zu prachtvollen Ornamenten verdichteten Kronleuchtern, entwickeln die temporären Abfallkonstellationen einen eigenartigen ästhetischen Reiz. Die Konsequenz in der Konfrontation des Gegensätzlichen macht es für den Betrachter möglich, die klassischen Vorstellungen von Schönheit in Frage zu stellen. Für die Fotografin besteht die Faszination gerade darin, im Alltäglichsten den ungewöhnlichen Reiz zu finden, und so erledigt sie mit ihrer Suche nach Spuren des häuslichen Lebens im besten Sinne ihre Hausaufgaben.


Maxi Uellendahl

Mit den einfühlsamen Bildern der Serie wir begegnen uns… zeichnet Maxi Uellendahl ein sehr persönliches Bild ihrer Großmutter Nani. Es sind die vielen kleinen Details im Lebensumfeld von Nani, die sich für die Fotografin wie zu einem Puzzle der Welt ihrer Großmutter zusammenfügen mit all ihren Vorlieben, Wertvorstellungen, Freuden und Leiden. Die Dinge, mit denen sich Nani umgibt, lassen spüren, wieviel Wert die alte Dame auf einen guten Stil legt. In den Fotografien von Maxi Uellendahl wirken diese niemals arrangiert. Gerade die unaufgeräumten Kompositionen entwickeln eine Leichtigkeit in der Darstellung, die authentisch wirkt. Alle Portraits von Nani sind Zeugnisse einer intensiven Begegnung von unterschiedlichen Generationen, die sich eine liebevolle Neugier füreinander bewahrt haben.


Susanne Willuhn

Susanne Willuhns fotografische Reise führt den Betrachter in Fantasieräume, die sich jenseits der realen Welt befinden. Die Bilder der Arbeit Indigo sind zwar alle an einem Ort entstanden, aber der tatsächliche Ort spielt für die Fotografin keine Rolle. Sie interessiert sich für die magischen Momente, die für sie der Auslöser zum Bildermachen sind. Intuitiv im Dialog mit der Aussenwelt erfasst, lösen sie sich beim Editieren aus den konkreten Kontexten und fügen sich in einer Metaebene zu neuen Konstellationen zusammen. Die besondere Herausforderung bei dieser Arbeitsweise liegt darin, dass man kaum steuern kann, wohin die Reise geht. Obwohl es keine festen Regeln und keine sicheren Orientierungspunkte gibt, entwickelt sich eine eigene Ästhetik und Logik der Serie, die in ihrer Konsequenz den Betrachter fesselt, auch wenn er die Orientierung verloren hat.

Wenn man sich auf eine Reise begibt, sollte man neugierig sein auf das, was man noch nicht kennt, was noch nicht Routine geworden ist in der täglichen Wahrnehmung der eigenen Umwelt. Die fotografischen Arbeiten, die im Laufe des Seminars „The Theatre of Real Life“ an der Lichtblick School in Köln entstanden sind haben sich in sehr unterschiedlicher Form auf dieses Abenteuer eingelassen. Welcher Art auch immer die Reise ist, ob in ferne Länder oder in die Nachbarstadt, kommt es wesentlich darauf an, eine eigene persönliche Haltung im Verhältnis zu seiner Erfahrungswelt zu formulieren. Die Philosophie der Lichtblick School ist es, dass es dafür keine festen Parameter gibt. Die stilistischen Methoden sind völlig frei und können vom puren Dokumentarismus bis hin zur reinen Erfindung reichen. Die Arbeiten müssen nur so konsequent erarbeitet werden, dass der Betrachter mit auf den Zug aufspringen will.