6-monatiges Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School
April - September 2015
Horst Hazfeld, New Triumph
mit Arbeiten von:
Uschi Becker, Thomas Böckenförde, Anja Grauenhorst,
Mona Grünewald, Horst Hazfeld, Marianne Langen,
Andreas Pflaum, Pina Pupo, Liz Rüland
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„Nicht der Schrift- sondern der Photographieunkundige wird der Analphabet der Zukunft sein." Das hat Walter Benjamin schon Anfang des letzten Jahrhunderts erkannt. Erstaunlicherweise wird aber fast hundert Jahre danach in den Schulen immer noch der ausschließliche Fokus auf die Lehre der Text- und nicht auf die der Bildsprache gelegt. Dem permanenten Einfluss der Bilderwelten im alltäglichen Leben ist der moderne Mensch meist recht hilflos ausgeliefert, da er selten gelernt hat, die visuellen Wirkungen zu hinterfragen.
Fotografien können äußerst komplexe persönliche Beziehungen zu unserem Lebensumfeld darstellen, wenn sie sich emanzipieren von einer dem Text dienenden Haltung. Die vorherrschende Rolle der Bilder besteht in unserer Kultur leider immer noch darin, Begriffe zu illustrieren oder Ideologien zu manifestieren. Auch bei anspruchsvollen Diskussionen über fotografische Arbeiten wird fast ausschließlich über das Thema gesprochen und fast nie über die Bilder selbst. Die besonderen Qualitäten von Fotografien liegen aber sehr oft jenseits einer Logik der Begrifflichkeit oder einer wissenschaftlichen Systematik.
In dem Seminar The Theatre of Real Life von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School haben die Teilnehmer/Innen sehr persönliche Sichten auf ihre Lebenswelten entwickelt und die Fotografie dabei als Medium genutzt, um Neuland zu erforschen. Der Akt des Fotografierens war dabei meist ein sehr intuitiver und oft auch experimenteller Prozess, bei dem Einblicke in den Alltag jenseits der klassischen Bildkonventionen entstanden sind. Das Editieren der Fotografien erfordert dagegen einen sehr bewussten und analytischen Umgang mit dem Bildmaterial, um es für den Betrachter lesbar zu machen.
Anja Grauenhorst, Neuland
Das Neuland von Anja Grauenhorst ist geografisch nicht zu verorten. Als imaginäres Konstrukt, zusammengesetzt aus Fotografien von vielen Reisen, wirkt es wie ein eingezäuntes Paradies zwischen Idylle und Bedrohung. Auf sehr poetische Weise ringt in ihren Bildern die Natur permanent mit der von Menschen geschaffenen Welt. Die Fotografin verpackt ihre ironischen Kommentare zu künstlichen Freizeitwelten in sehr spielerischer Form und schafft damit einen subtilen Ausdruck für ihre subjektive Wahrnehmung. Sie will nichts beweisen, sondern ist wie die Menschen in ihren Bildern ein Flaneur zwischen den Welten.
Liz Rüland, No angst for art
Odonien, eine einzigartige Verbindung aus Freiluftatelier, Werkstatt, Veranstaltungsort und Kulturzentrum in Köln hat auf die Fotografin Liz Rüland eine große Anziehungskraft ausgeübt. Sie wollte den Menschen näher kennenlernen, der sich hier seinen Lebenstraum verwirklicht hat. Mit ihrer Serie No Angst for Art hat sie ein Künstlerportrait von Odo Rumpf geschaffen, dass sich nicht mit dessen äußeren Erscheinung zufriedengibt. Mit präzisen stillebenartigen Bildern seiner Arbeitswelt gibt sie darüber hinaus vielmehr einen Einblick in sein ganz persönliches System, das kreative Chaos um ihn herum zu strukturieren und für die Entwicklung seiner künstlerischen Ideen nutzbar zu machen.
Marianne Langen, Zur Zeit kein Abendlob
Ein sehr gutes Beispiel für ein funktionierendes assoziatives Zusammenspiel von Text und Bild bietet die Serie Zur Zeit kein Abendlob von Marianne Langen. Dieser Titel bietet absolut keine Erklärungshilfe zu ihren Dekonstruktionen unserer Alltagswelt, aber der in einem Kirchenaushang aufgeschnappte Schriftzug entwirft ein Bild in unserer Vorstellung, auf dessen Folie wir die visuellen Fundstücke betrachten können. Die Autonomie der Bilder mit eigenwilligen Verschachtelungen von urbanen Räumen mit Zeichen, Werbeplakaten und menschlichen Körpern wird dabei aber nicht angetastet. Auf der Schnittstelle zwischen Dokument und Erfindung öffnen die Fotografien Fantasieräume für den Betrachter.
Mona Grünewald, over construction
In der Arbeit over construction von Mona Grünewald erscheint die Alltagswelt wie eine Baustelle, in der alle Elemente in einem losen Gleichgewichtszustand zueinander stehen. Es sind vertraute Alltagssituationen, denen wir in den Bildern begegnen, aber ungewöhnliche Perspektiven und eigenwillige Bildausschnitte lassen eine Art magischen Realismus entstehen, der das Abgebildete aus dessen ursprünglichem Kontext entreisst und in eine surreale Metaebene versetzt. Der zeitliche Moment spielt dabei eine wesentliche Rolle, da es temporäre Konstruktionen sind, die dem Spannungsgeflecht zwischen Mensch und Objekt in besonderen architektonischen Situationen Ausdruck verleihen.
Horst Hazfeld, New Triumph
Ein sehr spezielles Theater des realen Lebens findet für Horst Hazfeld in dem Ort Neukirchen im Salzburgerland statt. Dieser eigentlich beschauliche kleine Ort verwandelt sich seit 2005 jährlich im Juni zur Bühne für ein Treffen tausender Fans der Motorradmarke Triumph. Mit den Farbfotografien seiner Serie New Triumph schafft der Fotograf in beeindruckender Weise den Spagat zwischen einer Liebeserklärung an das Motorrad und einem sehr pointierten, oft ironischen, Blick auf das Zusammenprallen des internationalen Massenevents mit der dörflichen Idylle. Sein Augenmerk gilt vorrangig den vielen kleinen Geschichten am Rande des Hauptgeschehenes. Situativ erfasste Portraits, Aufnahmen der Kultobjekte in der Ruhephase, ausschnitthaft gesehene Werbeplakate und weitläufige Blicke in die umgebende Landschaft fügen sich zu einem Bilderpuzzle an der Schnittstelle zwischen Mythos und Wirklichkeit zusammen.
Andreas Pflaum, Am Rand der geplanten Welt
Fernab jeglicher Sehenswürdigkeiten beschäftigt sich die Arbeit Am Rand der geplanten Welt von Andreas Pflaum mit der Peripherie der Stadt, jenem Übergangsort zwischen dem vom Menschen kontrollierten urbanen Raum und dem Umland, in dem die Natur sich gegen die allumfassende Verplanung noch widersetzen kann. Diese Bruchstellen unserer Zivilisation werden in fein nuancierten S/W-Fotografien zu Sinnbildern des Ringens zwischen Chaos und Ordnung, zwischen Regeln und Wildwuchs. Unbedeutende Orte und Gegenstände entwickeln in diesen Bildern eine ganz ungewöhnliche ästhetische Präsenz, die sich deutlich von einer Idee einer sachlich neutralen Darstellung abhebt.
Pina Pupo, Kalabrisches Kaleidoskop
In eine ganz andere Welt entführt uns Pina Pupo mit ihrer Arbeit Kalabrisches Kaleidoskop. Ihre Annäherung an die südlichste Region des italienischen Festlandes hat persönliche Gründe. Sie erkundet mit ihren Bildern die Heimat der Eltern ihres Ehemannes, in der sie lebten bevor sie nach Australien ausgewandert sind und geht auf die Spurensuche nach familiären Prägungen, die über Generationen weitervermittelt werden. Ihre Wahrnehmung der Reise ist dabei nicht geprägt von einem analytischen oder sachlich dokumentarischen Blick. Heimat erscheint hier nicht als ein fest definierter Ort, sondern als ein Zusammenspiel persönlicher, religiöser, gesellschaftlicher und geografischer Einflüsse. Dies wird durch die collageartige Kombination ihrer sehr individuellen Sichten auf diese private Welt in dem Layout ihrer Serie verdeutlicht.
Uschi Becker, Haus am Walde
Uschi Becker widmet sich mit ihren experimentellen Fotoarbeiten Haus am Walde der brennend aktuellen Flüchtlingsthematik. Gerade bei einem solch ideologisch aufgeladenen Sujet, das die Gesellschaft zu spalten droht, ist es von wesentlicher Bedeutung, die den Kriegen entronnenen Menschen nicht ständig nur als Problem darzustellen. Die Fotografin konnte das Vertrauen von Flüchtlingen für sehr persönliche Portraitaufnahmen gewinnen, bei denen Bilder aus der verlorenen Heimat auf ihre nackte Haut projiziert werden. Die Gleichzeitigkeit von der Erinnerung an geliebte Verwandte und der Gegenwart im Flüchtlingsheim Haus am Walde zeigt die Menschen in ihrer Zerrissenheit und Verletzlichkeit und sensibilisiert den Betrachter für die Schicksale, die sich hinter den Kontingentzahlen verbergen.
Thomas Böckenförde, Nachtlichter
Mit den Bildern der Serie Nachtlichter von Thomas Böckenförde bewegen wir uns wieder in den öffentlichen urbanen Raum. Das nächtliche Flanieren in den Großstädten fasziniert den Fotografen, wenn das elektrische Licht ganz neue Bühnen entstehen lässt für die Inszenierungen des Alltags zwischen Melancholie und Euphorie. Grelle Leuchtreklamen, diffuse Strassenlaternen, kaltes Neonlicht in Unterführungen und golden glühend bis hin zu gespenstisch künstlichen Leuchtkonstruktionen von Kirmeswelten lassen den Stadtraum in ständig wechselndem Licht erscheinen. Die serielle Reihung der Nachtlichter von Thomas Böckenförde erlaubt die vergleichende Betrachtung dieser Wirkungen.