Katalog zum Seminar von Wolfgang Zurborn in Berlin 2023
Seminarkataloge Die Erfindung des Realen, Foto: Eva Grillhösl
mit Arbeiten von
Bernd Dumke, Christine Herold, Christoph Linzbach, Eva Brunner, Eva Grillhösl, Henning Willner, Klaus Heymach, Regina Kramer, Tobias Keppler und Torsten Pauer.
und einem Text von Christoph Linzbach
Die Erfindung des Realen ist ein Seminartitel, der harmlos daherherkommt, der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an fototheoretische Gemeinplätze erinnern mag, wie: Eine Foto ist ein Foto und nicht die Realität. Es bildet nur ab. Selbst eine perfekt anmutende, auf Wirklichkeitstreue abzielende Repräsentation kann in all ihrer Ähnlichkeit die abgebildete Realität nicht wiederholen. Soweit so gut, wenn da nicht die Rede von „Erfindung“ wäre. Der Titel geht weit über die Tatsache der grundsätzlichen Vermitteltheit von Darstellungen hinaus und bedeutet nichts anderes als das jedes Foto eine spezifische Möglichkeit von Realität aufzeigt. Jedes Bild ist ein Unikat, erzählt seine eigene Geschichte.
Klaus Heymach
Regina Kramer
Ein Bild ist Fiktion, wie ein Roman mit Requisiten und Personal ausgestattet, der uns Realität vorgaukelt bzw, eine Geschichte erzählt, die so tut als ob sie real wäre. Die Fotografin ist Autorin und der Leser liest das Bild wie Literatur. Das Bild triggert seine/ihre Imagination. Eine Vorstellung entsteht. Es geht dabei nicht um simple Wahrheiten. Einhörner bevölkern Kinderzimmer wie die Literatur. Ihr Realitätsstatus und ihr Wahrheitsgehalt im Kinderzimmer wie im Roman ist gewiss. Es gibt sie, auch wenn das Spielzeug keinem realen Wesen entspricht. Wir können uns Dinge vorstellen, die es nicht gibt und all das was wir in unsere Vorstellung aufnehmen, ist der Realität entrissen und ihres realen Gehaltes beraubt, wird neu konstituiert und konstruiert.
Christine Herold
Christoph Linzbach
Eva Grillhösl
Die Fotografien des Kurses zeigen Reportagehaftes, Narratives und abstrakt Rätselhaftes. Eine beeindrucken Bandbreite, die gleichwohl gut auf einen Nenner zu bringen ist. Die Reportage, dass Narrativ und das Rätselhafte sind Teil einer einzigen Fiktion. Der Schiffskapitän, die Trachtenträger, der Angler, die Gebäudeteile, die rothaarige Frau am Hang, die kopflosen Kinder sind in der fiktiven Welt des Fotos keine realen Artefakte mehr. Wie das Urinal von Dechamps sind sie dem Alltag entnommen, ihrer Alltagsverwetbarkeit beraubt, nicht länger Teil der gegenständlichen Welt, sondern Produkt von Abgebildetem und der Imagination des Betrachters. Der Rezipient ist für das Funktionieren fiktiver Bilderwelten wichtig; er muss lesen können. Und das Lesen ist Teil des Erschaffung in sich schlüssiger, fiktiver Bilderwelten, die aus Requisiten bestehen und nicht aus realen Gegenständen.
Bernd Dumke
Henning Willner
Tobias Keppler
Besonders rätselhafte Bilder, die wie die Inszenierung von vorenthaltenen Wissen wirken, besonders irritieren und machmal den Betrachter ratlos werden lassen, scheinen die Deutung als Fiktion sehr nahe zu legen. Bilder, die scheinbar näher an der Abbildung sind, vielleicht wie Reportagen daherkommen, verbergen ihre fiktionalen Charakter, weil wir traditionell so konditioniert sind, ihnen einen hohen Realitätsgehalt zuzubilligen. Alle Kursbilder sind ganz gewiss gleichermaßen Teil der einen fiktiven Bilderwelt. Die Erzähl- und Darstellungsweisen mögen sich unterscheiden, erzählt wird aber immer und neu konstruiert auch. Die Bilder erzählen immer, es fragt sich nur ob wir breit und in der Lage sind, ihre Erzählung zu würdigen, statt sie zu überschreiben.
Torsten Pauer
Eva Brunnr
Backcover des Seminarkatalogs, Foto: Eva Brunner
Wir danken Wolfgang Zurborn, dass er uns dazu gebracht hat, über die Illusion der Existenz eindeutiger Wirklichkeiten nachzudenken und die Welt als eine dynamische Erzählung zu begreifen. Die Herausforderung ist gelungen, ob wir ihr gerecht geworden sind, mögen andere beurteilen.
Christoph Linzbach