Lichtblick-School

The Theatre of Real Life Vol. 22

6-monatiges Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School
Januar - Juni 2023


Cover des Seminarkatalogs The Theatre of Real Life vol. 22, Foto: Boris Schöppner

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mit Arbeiten von:

Arne Beierlorzer, Boris Schöppner, Sabine Plathen, Agnes Zimmermann, Werner Landenberger, Peter Auer und Markus Kirchhofer

Das Spannungsverhältnis von Körpern zum Raum ist eine der wesentlichen Komponenten für die Wirkung fotografischer Bilder, unabhängig davon, ob es sich um eine abbildende, experimentelle oder konzeptionelle Darstellung der Lebenswelt handelt. Körper sind niemals stumm. In ihrer ganz eigenen Sprache vermitteln sie auf nonverbale Weise einen zugleich persönlichen und universellen Zugang zu Wirklichkeiten hinter einer eindeutigen Begrifflichkeit. Gerade die unbewußten Äußerungen des Körpers, die keiner linearen Logik folgen und nur instinktiv erfasst werden können, geben einen tiefen Einblick in Wahrheiten jenseits des Offensichtlichen. Ohne die Korrespondenz zu einem Raumgefüge würden sich Körper aber in einem Vakuum befinden. Um unmittelbar aus sich heraus eine Erzählkraft kreieren zu können, benötigen Sie eine "Bühne", auf der sie in einem Bezugsrahmen wahrgenommen werden können.

Die Teilnehmer*innen des Fotoseminars The Theatre of Real Life von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School in Köln definieren diesen Raum auf sehr unterschiedliche Weise und zeigen die Protagonist*innen ihrer fotografischen Arbeiten in einer großen Bandbreite emotionaler Zustände und gesellschaftlicher Kontexte. Das komplexe Geflecht menschlicher Beziehungen wird sowohl mit Momentaufnahmen im Stil einer Streetphotography sichtbar gemacht wie auch mit experimentellen fotografischen Techniken, die subjektive Imaginationen von Wirklichkeit kreieren.


Arne Beierlorzer, Parallel Worlds

Für Arne Beierlorzer ist die Strasse der Ort für seine Erkundungen des menschlichen Zusammenlebens in einer von Verlockungen der Werbe- und Modewelt geprägten Welt. Einen besonderen Reiz übt für ihn dabei die Königsallee in Düsseldorf aus, weil gerade auf ihr die Parallel Worlds von künstlichen, durchgestylten und oft auch unterkühlten Inszenierungen in den Schaufenstern aufeinanderprallen mit chaotischen, lebhaften und emotional aufgeladenen Szenerien im Stadtraum. Mit seinen Fotografien hält er die Zeit für einen entscheidenden Augenblick an und macht es in seinen vielschichtigen Bildern für die Betrachter*innen möglich, in der Mimik und der Körpersprache seiner Protagonist*innen ein großes Spektrum unterschiedlicher Gefühlszustände nachempfinden zu können. Diese sind es letztlich, die ein wahrhaftiges Bild unserer Gegenwart zeigen können jenseits aller Idealisierungen der Medienwelt.


Boris Schöppner

Losgelöst von einem konkreten Ort nehmen die expressiven S/W-Fotografien von Boris Schöppner den Betrachter mit auf eine Reise in das Seelenleben des Bildautors. Die Sequenz der sehr persönlichen Blicke auf Menschen, Objekte und Räume in seinem persönlichen Lebensumfeld folgen keiner linearen Logik. Vielmehr sind es der Sound des Punkrocks und die harte Realität der Straße, die das energetische Zusammenwirken der radikal subjektiven Perspektiven auf das Wesentliche bestimmen. Es geht nicht darum, sich in einer Wohlfühlzone des Vertrauten einzunisten, sondern auch bisher unbekannte und teilweise verstörende Gefühle zuzulassen. Diese kommen in dem magischen Fluß der Bilder gerade deshalb zum Ausdruck, weil die oft paradox anmutende Kontrastierung unterschiedlicher Szenerien keinen rationalen Ausweg anbietet.


Sabine Plathen, Immersion

Völlig eintauchen in imaginäre Sphären können wir in den Bildern der Serie Immersion von Sabine Plathen. Ausgehend von einem eigenen Archiv mit Fotografien, die auf Reisen mit der Familie entstanden sind, entwickelte sie in einem vielschichtigen experimentellen Prozess eine surreal anmutende Visualisierung von emotionalen Zuständen. Aus einem privaten Kontext entrückt verkörpern die Akteur*innen in den Bildern auf sehr poetische Weise ein Ringen mit den Elementen. Die Tonwerte sind umgekehrt, farbige Lichtspuren durchdringen Unterwasserwelten, Körper scheinen sich in Licht aufzulösen und bilden in der Sequenz der Bilder eine ausdrucksstarke Choreografie. Eigentlich sollten die Betrachter*innen jegliche Form der Orientierung verloren haben, aber alle Verfremdungstechniken wirken so selbstverständlich zusammen, dass dieser Verlust eher als eine Chance wahrgenommen werden kann, sich auf das Unbewußte einzulassen.


Agnes Zimmermann, Hausgeist

Auch die Arbeit Hausgeist von Agnes Zimmermann basiert auf einem Fundus von Bildern, die sie in ihrem privaten Umfeld aufgenommen hat. Ihr Rückblick auf eine gemeinsame Zeit mit Freunden in einer Wohngemeinschaft unterscheidet sich aber wesentlich von einem gewöhnlichen Familienalbum. Es sind nicht besondere Ereignisse, die in den Fokus gerückt werden, sondern die Banalität des Alltäglichen. Dieser großen Herausforderung begegnet die Fotografin mit einer eigenwilligen Erzählform, bei der fragmentarische Einblicke in das Zusammenleben collagenartig in einem Künstlerbuch aufeinandertreffen. Unterschiedliche Seitenformate lassen beim Blättern immer wieder neue Beziehungen zwischen den Menschen und den sie umgebenden Pflanzen, Objekten und Räumen entstehen. Somit wird auf spielerisch wirkende Weise versinnbildlicht, dass Erinnerung immer ein höchst subjektives Konstrukt von Wirklichkeit ist.


Werner Landenberger, Reise nach Rumänien

Auf der Suche nach Bildern, die seinen eigenen Vorstellungen von gegenwärtigem Leben Ausdruck verleihen können, begab sich Werner Landenberger auf eine Reise nach Rumänien. Seine Wahrnehmung dieses Landes ist dabei besonders von der Architektur in urbanen Räumen geprägt und den Spuren der Zeit, die in ihr sichtbar werden. Sie ist in seinen komplexen Farbfotografien aber nicht das alleinige Sujet, sondern bildet vielmehr eine Bühne für Szenerien des alltäglichen Lebens. Der klare Aufbau seiner Momentaufnahmen macht es möglich, dass auf mehreren Bildebenen ein Reichtum an Details gesehen werden kann. Da sind flüchtige Gesten von Passant*innen, Inszenierungen in Schaufenstern, gesellige Menschengruppen, monumentale Skulpturen, Reste von Vegetation und Gebäudefassaden im Stadtraum. Das Zusammenwirken all dieser Komponenten lässt ein lebendiges Zeitdokument entstehen.


Peter Auer, Gleichzeitig

Das öffentliche Leben steht auch im Fokus der Fotoserie Gleichzeitig von Peter Auer. Bei seinen präzise gesehenen S/W-Fotografien sind aber die Menschen Hauptdarsteller*innen der Bilderzählung. Der Fotograf hält den Strom der Zeit für einen entscheidenden Augenblick an, in dem sie zu Protagonist*innen in einem Theater des realen Lebens werden. Ohne jegliche Regieanweisung und dramaturgische Überhöhung verkörpern sie sich selbst mit all ihren widersprüchlichen Gefühlen zwischen Frustration und Euphorie. Die besondere Herausforderung bei dieser Art einer Strassenfotografie liegt darin, dass nichts planbar ist, dass man sich einlassen muss auf eine permanente Provokation des Zufalls. Gerade diese neugierige Offenheit macht einen empathischen Blick auf die Mitmenschen möglich, der ohne eindeutige Wertungen auskommt.


Markus Kirchhofer, Istanbul - Schönheit und Schwermut

Istanbul - Schönheit und Schwermut ist der Titel der Serie von Markus Kirchhofer und damit ist schon klar, dass seine Farbfotografien als eine Art Liebeserklärung an diese lebendige Metropole am Bosporus zu verstehen ist. Wie kann man aber dem Mythos einer solch gewaltigen Stadt begegnen, die vor Vielfalt zu explodieren scheint? Der Fotograf läßt sich von diesem Anspruch nicht beirren und folgt seinem fotografischen Instinkt, alltägliche Situationen so zu erfassen, dass sie dem Lebensgefühl von Menschen mit unterschiedlichsten Weltanschauungen am gleichen Ort Ausdruck verleihen. Allgegenwärtige Zeichen geschichtlicher, kultureller und politischer Prägungen in den Fotografien verdeutlichen das Aufeinanderprallen von Tradition und Moderne. Im Blick auf die Choreografie der Körper in der Strasse und in die Gesichter der Menschen erzeugt Markus Kirchhofer darüber hinaus eine Unmittelbarkeit in der Wahrnehmung, die fern einer sachlichen Betrachtung eine emotionale Nähe zu seiner verehrten Stadt spürbar macht.