Lichtblick-School

Theatre of Real Life Vol. 4

6-monatiges Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School
Oktober 2012 - März 2013


Cover des Katalogs zum Seminar, Bettina Malik, Wenn die Zeit still steht

Ansicht und Bestellung des Katalogs zum Seminar bei Blurb


mit Arbeiten von:
Sigrid Ehemann, Ulla Franke, Michael Haus, Axel und Carolin Kirchner,
Bettina Malik, Gerd Martiny, Martin Schuster, Monika Zienke

Tragen Fotografien zur Erklärung der Welt bei oder lassen sie uns den Zustand einer vergeblichen Sinnsuche besser ertragen?
Man sollte skeptisch sein, wenn sie zu einfache Rezepte für eine eindeutige Interpretation von Wirklichkeit liefern. Die Affinität zum Realen lässt oft vergessen, dass es immer individuelle Prägungen und subjektive Interessen sind, die ihnen ihre Ausdruckskraft verleihen. Je präziser das Verständnis für das eigene Wirklichkeitskonstrukt ist, desto losgelöster von fremden Ansprüchen können unverbrauchte Bildwelten entwickelt werden.
Bei den Arbeiten aus dem Seminar The Theatre of Real Life vol. 4 wird besonders deutlich, dass es oft gerade die Kunst des Weglassens von Informationen ist, die dem Betrachter Raum für Assoziationen gibt, das Gesehene mit eigenen Erfahrungen und Erinnerungen in Einklang zu bringen.


Ulla Franke, The World is Young, Seminar The Theatre of Real Life 2012/13

Das Bild der Jugend ist allgegenwärtig. Sie wird zum Ideal stilisiert in einer Gesellschaft, in der das Altern zum Problemfall wird. Wie kann man sich dem Leben von Jugendlichen fotografisch nähern, ohne sich in den von Werbung produzierten Klischeebildern oder ideologischen Kategorisierungen zu verlieren? Ulla Franke vertraut bei ihren Aufnahmen von Jugendlichen in Russland, Griechenland und Deutschland auf ihr Gespür, intensive Momente des alltäglichen Lebens einzufangen, die etwas erzählen von der Suche nach Identität im Spannungsfeld von Rollenspielen in der Öffentlichkeit und dem Rückzug ins Private. Mit großer Leichtigkeit werden zwischenmenschliche Beziehungsgeflechte sichtbar gemacht.


Michael Haus, Schicht für Schicht, Seminar The Theatre of Real Life 2012/13

In ganz anderer Form visualisiert Michael Haus Phänomene unserer Lebensumwelt. Sein Fokus liegt auf urbaner Architektur. Im Gegensatz zu einer klassischen dokumentarischen Darstellung geht es ihm nicht allein um das Abbild des Stadtraums, sondern vielmehr darum, mit fragmentarischen Sichten eigene Bildräume zu kreieren, die dem besonderen Charme Kölner Patchwork-Architektur Ausdruck verleihen. Schicht für Schicht legt er in seinem Fassaden-Remix die unterschiedlichen Inszenierungen von Architektur im Zusammenspiel mit Zeichen, Bildern und Objekten unserer Alltagskultur frei. Losgelöst von einer rein funktionalen Betrachtung entwickeln alle Details in seinen Fotografien ihre ganz eigene Wirkung und schaffen im Zusammenspiel ein komplexes Netz von geschichtlichen, soziologischen und ästhetischen Bezügen.

Aus dem alltäglichen Stress entrückt und völlig in sich selbst ruhend wirken die Menschen in den Bildern von Bettina Malik. Die Fotografin sieht ideale Momente im Dialog mit den Portraitierten gerade dann, Wenn die Zeit still steht, wenn sie sich selbst befreit hat von dem Anspruch, eindeutige Aussagen über die Menschen schaffen zu müssen und ihnen damit die Möglichkeit gibt, sie selbst zu sein. Die Protagonisten aus ihrem persönlichen Umfeld repräsentieren weder eine gesellschaftliche Klasse, noch eine politische oder kulturelle Szene. In einem Augenblick des nachdenklichen Innehaltens verkörpern sie die Sehnsucht nach einer authentischen Präsenz des Selbst in einer Umwelt, die mit ihrer permanenten medialen Beeinflussung sonst nur wenig Freiraum dafür lässt.


Sigrid Ehemann, The Killing, Seminar The Theatre of Real Life 2012/13

Sigrid Ehemann entführt uns mit ihrer Serie The Killing in eine fiktive Welt voller Rätsel und latenter Bedrohung. Wie in den Filmen von Hitchcock wird die Phantasie des Betrachters gerade durch das Weglassen von Informationen stimuliert. Radikale Anschnitte von Gegenständen und menschlichen Körpern in einer theatralisch wirkenden Licht- und Farbdramaturgie laden ganz vertraute Szenerien mit ungewöhnlicher Spannung auf. Die Inspiration für ihre Bildgeschichten holt sich Sigrid Ehemann aus der Literatur und so bilden zwei Ansichten von Büchern, denen die Spuren des Alters deutlich anzusehen sind, Prolog und Epilog für eine Vielzahl von möglichen parallelen Realitäten. Es gibt nicht nur eine Deutung der Wirklichkeit. Sie entsteht immer in der subjektiven Wahrnehmung des Betrachters.


Carolin Kirchner, Aus Kinderaugen, Seminar The Theatre of Real Life 2012/13

Mit der völlig anderen Erfahrung von Welt Aus Kinderaugen befasst sich Carolin Kirchner. Im Gegensatz zu den Erwachsenen ist für die Kinder das Erleben ihres Umfeldes viel unmittelbarer und dabei weniger von einer rationalen Durchdringung oder funktionalen Begrifflichkeit geprägt. Intensive Gefühlszustände zwischen Angst und Freude können in kürzester Zeit ineinander übergehen. Die Fotografin lässt sich sehr behutsam und voller Neugier auf die ganz eigene Welt ihres Kindes ein. Sie verwendet dabei Stilmittel der Fotografie, die den subjektiven Blick betonen. Der bewusste Einsatz von Unschärfe, ungewohnter Perspektive und extremer Detailsicht entwirft ein Bild des kindlichen Alltags voller Staunen, Bedrohung und Schönheit und zeigt dabei wie viel die Erwachsenen von den Kindern lernen könnten um ihrer oft eindimensionalen Welt zu entrinnen.


Martin Schuster, Zebrastreifen, Seminar The Theatre of Real Life 2012/13

Martin Schuster hat die Verwunderung über das oft merkwürdige Verhalten der Menschen in ihrem Lebensumfeld nicht verloren. Auf seinen Reisen in verschiedene Kontinente fängt er besondere Momente ein, in denen Inszenierungen und zufällige Beobachtungen ineinander übergehen. Welches Theater des realen Lebens spielen die Akteure in seinen Bildern? Die Fotografien entwerfen Szenerien zwischen Touristik, Freizeit und Alltag, in denen sich die Menschen nach Zerstreuung sehnen und dabei oft orientierungslos wirken. Neben dem Sinn für Situationskomik in seinen Aufnahmen hat der Fotograf auch ein Gespür dafür, gefundenen Objekten und Zeichen durch die eigenwillige Komposition im Bildraum eine ganz eigenständige Wirkung zu verleihen.


Gerd Martiny,Ha! It's a way to stay alive, Seminar The Theatre of Real Life 2012/13

Das besondere Interesse von Gerd Martiny gilt der Grafitti-Kunst im öffentlichen Raum. Mit seiner Arbeit HA! IT'S A WAY TO STAY ALIVE! macht er deutlich, dass diese als Ausdruck eines Lebensgefühls und einer Stellungnahme zu gesellschaftlichen Fragen zu verstehen ist. In einer Mischung aus expressiver Geste, subjektiver künstlerischer Aussage und politischer Botschaft stellt sie einen omnipräsenten Protest gegen den Status quo in unseren Städten dar. Die Fotografien von Gerd Martiny sind keine Reproduktionen der Grafittis, sondern er zeigt vielmehr ihre Wirkung auf den öffentlichen Raum, die Konfrontation von farbiger Formenvielfalt und kühler Aufgeräumtheit, von vitalem Aufbegehren und nüchterner Konformität.


Axel Kirchner, Kratzer im Lack, Seminar The Theatre of Real Life 2012/13

Kratzer im Lack der blitzblanken Oberflächen kleinstädtischer Idyllen zeigt Axel Kirchner in seinen Fotografien aus Königstein im Taunus. Ihm liegt es dabei fern, Skandale und Katastrophen hinter der Fassade aufdecken zu wollen. Es sind gerade die Auswüchse spießbürgerlicher Harmoniesucht, die in Detailansichten auf die adretten Häuser, Vorgärten und Schaufenster so pointiert formuliert werden, dass Misstrauen gegenüber so perfektem Glück wächst. Der Fotograf muss gar nicht mit dem Finger auf die Risse im perfekten Bild zeigen. Die Subtilität im Zusammenwirken der Bildsequenz stimuliert die Phantasie des Betrachters, eine dunkle Seite hinter der glatten Oberfläche der Strebsamkeit zu erahnen.


Monika Zienke, Backstage, Seminar The Theatre of Real Life 2012/13

Auf die Fähigkeit zur Imagination zielt auch die Arbeit Backstage von Monika Zienke.
Reale und irreale Räume fließen bei ihr zusammen. Bei dem Akt des Fotografierens folgt sie keinem strikten Konzept, sondern lässt sich ein auf einen offenen Prozess der Wahrnehmung, auf ein Experiment des Sehens. Durch visuelle Schichtungen in Spiegelungen entstehen architektonische Dekonstruktionen und die dadurch verursachte Abstraktion in der Darstellung betont die Eigenwirkung von Flächen, Linien, Formen und Farben. Die Welt von Monika Zienke ist ein radikal subjektives Konstrukt, aber sie lässt immer noch Reste des Realen aufblitzen. So ist das Düsseldorfer Schauspielhaus in der Serie Backstage immer latent sichtbar und symbolisiert damit ihre Vorstellung eines Theatre of Real Life.